Eines Schattens Traum

Mumien, als Körper für die Ewigkeit gesehen und auch als solche gedacht/betrachtet, durchziehen Geschichte als auch Territorien rund um die Welt. Wir kennen Kulturen - wie etwa die altägyptischen Dynastien - deren Lebensinhalt alleine darin bestand, das diesseitige Leben als Vorbereitung für ein Jenseitiges zu betrachten. Dafür war es notwendig, diffizile Rituale und Techniken zur Erhaltung der Verstorbenen zu entwickeln. Wir wissen demgegenüber von Moorleichen, denen eine natürliche Mumifizierung zugrunde liegt im Gegensatz zu höchst komplizierter Konservierungs- und Präparationstechnik, die heute im Plastinationsverfahren eines Gunther von Hagens gipfelt und in seiner Präsentation "Körperwelten" längst spektakulären Einzug in die Kunstszene gehalten hat.

Viele Kirchen- und Klostergrüfte, speziell im christlichen Europa, beherbergen ganze Sammlungen "getrockneter" Relikte, so auch die Kapuzinerkatakomben von Palermo aus dem 16. Jahrhundert: Systematisch geordnet nach Männern-Frauen-Kindern oder beruflichen Disziplinen, teilskelettiert und mit den Resten des Kleidungsstils und der Accessoires damaliger Zeit versehen. Da zeigt sich die Mumie in ihrer unentrinnbaren Faszination ...

Ernst Zdrahals Mumienbildnisse entnehmen ihre inspirierenden Motive dem 1980 erschienen Kultbuch über die Katakomben, "Les momies de Palerme" von Jesse A. Fernandez, als ein authentisches Delirium erhaltener Körper für die Ewigkeit in berührender schwarz-weiß Fotografie.
Und genau diese Bilder werden für den Künstler zu einer Art Impuls für seinen Lebensweg, indem er den monochrom gehaltenen Formen eine intensive Farbpalette entgegensetzt, um dadurch über seinen Blick die tote Welt der Mumien ins vitale Leben rückkehren zu lassen. Gleichzeitig entstehen unterschiedliche Darstellungskonzepte als Schaffensperioden, in denen 4 sehr markant abgrenzbare Phasen erkennbar werden.

Sie beginnen 1980 als zeichnerisch orientierte Interpretation in Schwarz-Weiß oder zurückhaltender Farbwahl. Der wahre Unterschied zu den Fotovorlagen zeigt sich aber im Spannungsfeld zwischen sehr dokumentarisch und detailliert dargestellten Körperteilen - allen voran die Schädel - zu verwischten Elementen und flächig gehaltenem Ambiente.

2004/2005 entsteht der Durchbruch über eine eigens entwickelte neue Technik, die zur unverkennbaren Handschrift des Künstlers wird: Der Zusammenprall graphischer und malerischer Komponenten mit dunklen Linienbegrenzungen, Verästelungen und tiefen Schatten, greller Farbgebung sowie dem Einsatz von Umdruckverfahren und Schablonentechnik in mehreren Schichtebenen. Ernst Zdrahal selbst sieht seine Technik auch als Metapher für sein Visualisierungskonzept in Form der "Gleichzeitigkeit von spürbarem Zerfall und Wiederzusammensetzung": Unsterblich also, somit wäre auch der Traum vom ewigen Leben fast schon geglückt.

Die dritte Phase widmet sich in gleicher Technik einem für ihn ganz ungewohnten Territorium, der Michaelergruft in Wien, denn anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Bestattung Wien entsteht 2007 ein Kooperationsprojekt mit Bestattungsmuseum und Michaelergruft. Erstmals verlassen die Mumien die Leinwand und transformieren in das dreidimensionale Objekt. Der Sarg als Kunstobjekt tritt in das Werk des Künstlers ein.

In den neuesten Arbeiten wird dann die Rückkehr nach Palermo sichtbar, zurück zu vertrauten Motiven, zurück zum Zeichnerischen mit Einbezug des Mediums Photocollage. Ein Ernst Zdrahal mit großzügigen Flächen und seiner alten neuen Technik in noch neuerem Gewand: Zwischen Retrospektive und ouroboros, dem altgriechischen Symbol der Schlange, die sich in ihren eigenen Schwanz zu beißen vermag, Sinnbild für immerwährende Wiederkehr oder Kreislauf eines ewigen Lebens ...

Michaelergruft und Sargbemalung

2007

Das Jahr erscheint wie eine Zäsur im kontinuierlichen Werk Ernst Zdrahals. Die Kapuzinergruft Palermos wird verlassen, und eine Mumienstätte fast vor der Haustüre neu entdeckt: die Michaelergruft in Wien. Der eigentliche Auslöser dafür heißt "exitus. Tod alltäglich", ein Ausstellungskonzept von Wittigo Keller, das zum 1oo Jahre Jubiläum der Bestattung Wien für das Künstlerhaus entwickelt wurde. Geschichte des Bestattungswesens, Alltagskultur und künstlerischer Zugang zur Thematik Sterben-Tod-Trauer-Erinnerung zeigen sich dabei in ihrer Vernetzung sowie Parallelpräsentation. Eine langjährige Kooperation zwischen Bestattungsmuseum und Michaelergruft / Dr. Alexandra Rainer führt zudem zum Projekt der "Sargbemalungen". Da wird ein Ernst Zdrahal geradezu Idealpartner im funeralen Puzzlespiel.

Neben den Bildnissen seiner friedlich in den Särgen schlummernden Michaeler-Mumien, den neu aufgenommenen Vanitas und Memento mori Motiven tritt erstmals Dreidimensionalität in das Werk des Künstlers ein: Der Sarg, als wohl adäquatestes Behältnis für den toten Körper, gleichzeitig auch Transportvehikel ins Jenseits mit Hoffnungsschimmer für ein Leben danach, für immer. Und Ernst Zrdahal präsentiert seine Arbeit gleich im "Pärchen-Look":

Sarg I
übernimmt weiterhin das Thema Mumien in typischer Manier, konzipiert als Außenhaut und dem Gefühl, als würden die Mumien gerade miteinander kommunizieren. Da kommt auch gleich Hoffnung und Schmunzeln auf.

Sarg II
dagegen simuliert Elemente der barocken Vorgänger aus der Gruft, der Tod als Mahner, einer Allegorie auf die Vergänglichkeit. Dies bedeutet "Mensch, sei eingedenk, du bist nicht für die Ewigkeit, du bist vergänglich und setze dich mit dieser Situation tagtäglich auseinander, dann tust du dir wesentlich leichter, wenn es soweit ist, denn schon morgen könnte es zu spät sein!".

Das Motiv des Totenkopfs mit gekreuzten Gebeinen tritt in den Vordergrund und paart sich mit verbalen Fragmenten aus Pindars Ode: "Tagwesen! Was ist, was ist man nicht? Eines Schattens Traum ist der Mensch. Sobald aber Glanz, gottgegebener, kommt, ist strahlend Licht bei den Menschen ...". Den Sargdeckel beschützt ein ungewohnt ätherisches Wesen, schon nicht mehr Mumie, vielmehr engelsgleich.
Damit setzt Ernst Zdrahal an uralten Traditionen des Sargbemalens an und erschafft eine subtile Eigenwelt zu Vorstellungen des immerwährenden Themas Sterben/Tod und dem, was letztlich bleibt.

Sarg III
tritt erst 2010 als Premiere zur Ausstellung im Künstlerhaus in Erscheinung. Außen Milka-schokoladenviolett, innen dagegen rohholznüchtern und ehrfurchtsvoll sakral gehalten - was den mumifizierten Körper betrifft - wobei es ganz den Anschein hat, dass Hunderte unterschiedlichster Insekten- und Spinnenarten aus einem Naturgeschichtebuch entflohen zum "Leichenschmaus" aufrüsten.

Das mag wohl eine Anspielung auf den inzwischen berühmt-berüchtigten Rüsselkäfer mit dem schönen lateinischen Namen "Pentarthrum Huttoni" sein, der seit Jahren in der Michaelergruft sein Unwesen treibt und bereits etliche Holzsärge zu feinstem Bohrmehl zerfressen hat. Auch dieses nimmersatte Insekt, zwei mm lang, das seine wahre Größe erst unter dem Stereoskop entwickelt, hat Ernst Zdrahal in zwei Gemälden verewiglicht.

Eines Schattens Traum ...

Mag. Dr. Wittigo Keller
Kurator Bestattungsmuseum Wien