Eines Schattens Traum ist der Mensch

"Tagwesen! Was ist? was ist man nicht? Eines Schattens Traum
Der Mensch! Sobald aber Glanz, gottgegebener, kommt, ist
Strahlend Licht bei den Menschen, freundlich ihr Dasein."
(Pindar, Pythische Ode VIII, 94-97)

Sargbemalungen sind keine Modeerscheinung des 21. Jahrhunderts. Allein in Wien gibt es in vielen Grüften wie der Augustinergruft, der Franziskanergruft und der mit Führungen zugänglichen Michaelergruft bemalte Särge. Dabei handelt es sich um barocke Särge aus dem 18. Jahrhundert!
Sich den Sarg nach eigenen Wünschen gestalten zu lassen war ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitung auf den Tod. Die Motive auf den Särgen zeugen noch von tiefer Frömmigkeit mit Kreuzesdarstellungen und Engeln und der Bewusstmachung der Vergänglichkeit durch Sanduhren, das verrinnende Leben anzeigend oder verlöschten Lebenskerzen. Die barocken bemalten Särge veranschaulichen damit ein Stück Leben im Wien des 18. Jahrhundert und zeigen, dass sich die Menschen der Barockzeit sehr wohl mit dem Tod auseinander setzten.

Im 21. Jh. gibt es keine Vorlagen mehr, Ernst Zdrahal durfte natürlich selbst entscheiden, wie er "seine" Särge bemalen wollte. Zdrahal wählte für den ersten Sarg das Motiv "Mumie". Das Bemalen eines Sarges an sich ist eine Auseinandersetzung mit dem Tod, selbst wenn man Blumen malt. Heitere Motive könnten Verdrängung oder wenigstens Ablenkung vom Tod bedeuten, nicht jedoch das Malen von Mumien. Zdrahals Mumien zeigen Reste ihres vergangenen Lebens und wirken gar nicht traurig. Die Hände sind auf Bauchhöhe gefaltet, auf der Brust liegt ein kleines Kreuz. Jede Mumie sieht anders aus, ein Stück Individualität ist in den Tod gerettet. Sie tragen Kleidung, besonders deutlich erkennbar sind Hauben, unter dem Kinn mit einer Schleife zusammengebunden. Diese Art der Tracht hat sich in der Michaelergruft in mehreren Särgen erhalten, genau wie in Zdrahals Sargbemalung ruhen die etwa 250 Jahre alten Mumien mit übereinander gelegten Händen und Kreuzen in ihren Holzsärgen, viele Frauen tragen genau diese Art der Haube.

Der zweite Sarg dagegen ähnelt den barocken Vorgängern, denn die Vanitassymbolik mischt sich mit Hoffnung. Zwei Fußsohlen am Sargende abgebildet und ein Totenkopf auf gekreuzten Oberschenkelknochen (wieder ein gängiges Motiv der Michaelergruft auf Särgen und ganz real in Form echter Knochen) zeigen zwar die Vergänglichkeit, doch auf dem Sargdeckel ist ein Wesen abgebildet. Ein Schatten? Ein Engel? Die bunten Seiten könnten für Flügel gehalten werden. Zdrahal wählte Pindars Worte "Eines Schattens Traum ist der Mensch" als Sargbeschriftung. Doch der "gottgegebene Glanz" trifft den Schatten, Zdrahals Sarg wirkt somit freundlich, optimistisch, hoffnungsvoll.

Dr. Alexandra Rainer